ESA - Presseinformation
Nr. 21-96 ­ Paris, 28. November 1996   [ English Version | Version française ]

Begeisterung für Europas Weltraumteleskop ISO

Die Zeitschrift "Astronomy and Astrophysics" widmet eine Ende November 1996 erscheinende Sonderausgabe den ersten Ergebnissen, die mit dem Infrarot-Weltraumobservatorium (ISO) der Europäischen Weltraumorgisation erzielt worden sind. Einundneunzig wissenschaftliche Abhandlungen berichten über bisher einmalige Beobachtungen des kühlen Universums und Einblicke in seine verborgenen Winkel, die das ISO und seine vier ausgezeichneten Instrumente den Astronomen gewährt haben und die ihnen umwälzende neue Erkenntnisse bescheren.

"Beziehen die leuchtstärksten Galaxien ihre Energie aus der Entstehung unzähliger neuer Sterne, oder beherbergen sie auch aktive Kerne, deren Energiequelle Schwarze Löcher sind?" Wissenschaftler unter der Leitung von Reinhard Genzel vom Max-Planck-Institut für extraterrestrische Physik in Garching sind dieser Frage unter Einsatz des Kurzwellen-Spektrometers von ISO nachgegangen. In einem Artikel in der Zeitschrift "Nature" meint ein unabhängiger Kommentator, der Forscher Gerry Gilmore vom Astronomischen Institut in Cambridge, daß die von ihnen in "Astronomy and Astrophysics" veröffentlichten Ergebnisse die Frage eindeutig beantworten. Das "bemerkenswerte Ergebnis" besteht laut Gilmore darin, daß keine der mit ISO untersuchten drei ultraleuchtstarken Infrarot-Galaxien einen aktiven Kern als Erklärung für die von ihnen ausgesandte Strahlung benötigt, vielmehr ist diese allein auf eine äußerst hohe Sternbildungsrate zurückzuführen. Über ein anderes mit ISO beobachtetes Objekt schreibt Gilmore:



"In einem wunderschönen Beispiel von zwei sich durchdringenden scheibenförmigen Galaxien, die unter dem Namen "Antennae" bekannt sind, kann sogar noch die Stelle erkannt werden, an der sich die beiden Scheiben gegenwärtig kreuzen, und läßt sich verfolgen, wie sich die Sternbildung der Scheibe entlang fortsetzt, während die beiden Galaxien einander durchströmen." (Nature, 21. November 1996, Seite 211).

Ein Jahr nach seinem Start ist ISO bei Astronomen nicht nur in Europa, sondern in der ganzen Welt außerordentlich beliebt. Eine Jury amerikanischer Astronomen, die im Auftrag der NASA die wissenschaftliche Güte von acht astrophysikalischen Missionen bewerteten, gab ISO die höchste Note und bezeichnete sie als "die führende Infrarot-Mission des Jahrzehnts". Zu einer Zeit, in der die NASA ihren Etat für manche astrophysikalische Missionen kürzt, stockt sie die Finanzierung der mit ISO angestellten Forschung auf.

Die Nachfrage nach ISO-Kapazität, die so einzigartige Einblicke in das Infrarot-Universum verspricht, kann nicht befriedigt werden. Die ESA wurde mit neuen Beobachtungsvorschlägen von insgesamt 511 Astronomengruppen aus den Mitgliedstaaten der ESA, den Vereinigten Staaten und Japan geradezu überschwemmt. Obwohl ISO äußerst leistungsfähig ist und durchschnittlich 45 Beobachtungen pro Tag durchführt, kann das Teleskop die rund 16 000 Beobachtungen, die es zusätzlich zu dem an sich schon gedrängten Beobachtungsprogramm für 1997 hätte anstellen sollen, einfach nicht bewältigen. Der für die Zuteilung von Beobachtungszeit zuständige Ausschuß mußte deshalb 75% der vorgeschlagenen Beobachtungen ablehnen. Dennoch dürften die diesen Monat bekanntgegebenen Zuteilungen die Wünsche der meisten Bewerbergruppen zumindest teilweise erfüllen.

ISO hat nun etwa die Hälfte seiner Einsatzzeit absolviert. Eine Ariane-Trägerrakete des Typs 44P hatte das Teleskop am 17. November 1995 auf seine Umlaufbahn befördert. Sein Vorrat an superflüssigem Helium, das das Teleskop und die wissenschaftlichen Instrumente kühlt, wird rund sechs Monate länger als vorgesehen ausreichen. Sein Betrieb dürfte somit bis Dezember 1997 dauern, was bedeutet, daß auch die chemisch reichen, sternbildenden Wolken der wichtigen Himmelsregion um Orion mit ISO beobachtet werden können.



Suche nach dem Ursprung der Planeten
Die Beobachtung der Antennae-Galaxien und einige andere ISO-Ergebnisse, die nun in der Sonderausgabe von "Astronomy and Astrophysics" in allen Einzelheiten beschrieben werden, wurden bereits in früheren Presseinformationen der ESA (Nr.02-96 und 14-96) bekanntgegeben. Sie schließen Untersuchungen über die Entstehung von Sternen in zahlreichen Galaxien und innerhalb von Staubwolken in unserer eigenen Galaxie, der Milchstraße, ein. ISO hat auch der Astrochemie mit der Enthüllung der Infrarotsignaturen vieler Stoffe, die in der Entwicklung von Galaxien und Sternen sowohl physikalisch als auch chemisch eine Rolle spielen, einen wichtigen neuen Impuls vermittelt. Zu den von ISO aufgespürten Stoffen gehören ionisierte Kohlenstoffatome, rußartige Kohlenstoffverbindungen, Wasserstoffmoleküle, Wassermoleküle und gefrorenes Kohlendioxid und Methan. Die neuesten Ergebnisse sind Beobachtungen von Mineralkristallen, die Licht auf den Ursprung der Erde selbst werfen können.

Eine der wichtigsten Entdeckungen der Infrarot-Astronomie, die mit dem Vorläufer von ISO, dem niederländisch-amerikanisch-britischen Satelliten IRAS 1983 gemacht wurden, waren bestimmte Sterne umgebende Staubscheiben, die sich zu Planeten verdichten können. Der erste Stern, bei dem eine solche Staubscheibe beobachtet wurde, war der helle nördliche Stern Wega. Er wies eine unerwartet starke Strahlung im langwelligen Infrarot auf, die nicht von dem Stern selbst stammen konnte. Spätere Untersuchungen bestätigten die Existenz von Staubscheiben um Wega und einige andere Sterne, und die Suche nach weiteren Sternen mit solchen protoplanetaren Scheiben ist nun ein Hauptbestandteil des ISO-Programms, der sich vor allem auf Messungen mit dem Photometer ISOPHOT über einen breiten Bereich infraroter Wellenlängen stützt.

Über mehrere mögliche neue Staubscheiben der bei Wega festgestellten Art berichten in der Sonderausgabe von "Astronomy and Astrophysics" der Astronom Harm Habing aus Leiden in Holland und seine Kollegen. Sie gelangen zu dem vorläufigen Schluß, daß Staubscheiben eine häufige Begleiterscheinung gewöhnlicher Sterne mit einer sonnenähnlichen oder höheren Masse, keinesfalls aber die Regel sind. Weitere Messungen bei Wega lassen verhältnismäßig schwache Emissionen bei den längsten Wellenlängen erkennen, was darauf hindeutet, daß die Staubkörner klein sind.

In einem damit zusammenhängenden Programm hat ein Team unter belgischer Führung die Zusammensetzung des Staubs in der Nähe sehr junger Sterne mit dem Kurzwellen-Spektrometer von ISO untersucht. Es berichtet über die Entdeckung von Kristallen von Olivin, einem Silikat-
Mineral, das einer der Hauptbestandteile des Gesteinsmantels der Erde ist. Mit der Aufspürung von Olivin-Kristallen wurde eine Brücke von den Sternen zu den Mineralen des Sonnensystems geschlagen.

Die meisten Mineralkörner im interstellaren Raum weisen nicht die kristallinen Formen der gewöhnlichen Minerale auf, auch wenn sie dieselbe chemische Zusammensetzung besitzen. Spuren der Infrarotemission von Olivin-Kristallen, die mit Bodenteleskopen bei Wellenlängen von rund 11 Mikron gerade noch erkennbar sind, werden durch Emissionen von Kohlenstoffverbindungen im selben Wellenlängenbereich verwischt. Dank seines ungetrübten Blicks bei längeren Wellenlängen sieht ISO die Signaturen von magnesiumreichen Olivin-Kristallen bei 20, 24 und 34 Mikron.

Die Minerale kristallisieren, wenn die Schwerkraft sie in der Nähe junger Sterne konzentriert, und die von dem Stern ausgehende starke Strahlung verändert die Körner. ISO hat ähnliche Materie auch in den Staubhüllen alter Sterne aufgespürt; das betreffende Vorhaben wird von dem holländischen Astronomen Rens Waters geleitet, der an den Untersuchungen über junge Sterne ebenfalls eng beteiligt ist. Anscheinend überleben die Mineralkristalle nicht im interstellaren Raum, sondern müssen in der Nähe junger Sterne erneuert werden.

Am deutlichsten wurde die Existenz von Olivin-Kristallen in der Umgebung des Objekts HD 100546 nachgewiesen, ein junger blauer Stern, der sich 500 Lichtjahre entfernt nahe dem Kreuz des Südens befindet. Dieser Stern, dessen Alter auf wenige Millionen Jahre geschätzt wird, gibt eine starke Infrarotstrahlung ab. Er weist außerdem eigenartige Ultraviolett-Absorptionen auf, die erstmals mit dem internationalen Ultraviolett-Satelliten IUE (Gemeinschaftsvorhaben der NASA, ESA und Großbritanniens) registriert wurden und scheinbar durch den Einschlag von Kometen oder Asteroiden auf HD 100546 verursacht werden.

"Eine riesige Wolke von Kometen scheint diesen jungen Stern zu umgeben", sagt Christoffel Waelkens aus Löwen in Belgien, der Leiter des Teams, das die Olivin-Kristalle entdeckt hat. "Wir glauben, daß aus einer ähnlichen Wolke um die junge Sonne die Erde und die anderen Planeten entstanden sind. Wir vergleichen nun unsere Beobachtungen mit denen von Kollegen, die Minerale in Kometen und Meteoriten unseres Sonnensystems untersuchen. ISO hat Olivin im Kometen Hale-Bopp gefunden. Einer der sicherlich nicht geringsten Erfolge von ISO ist also die Zusammenführung der stellaren Astrophysik und der Sonnensystemforschung."
Neugeborene Sterne und Sternfontänen
Astronomen in Stockholm sind die Hauptverfasser von Abhandlungen, die über die Suche nach neugeborenen Sternen und damit verbundenen Phänomenen im südlichen Sternbild "Chamäleon" berichten. Bei einer Entfernung von rund 800 Lichtjahren ist die Region der sogenannten Chamäleon-Dunkelwolken, die sich am Himmel über einen Winkel von über 1š erstreckt, eine der uns am nächsten gelegenen heutigen Sterngeburtsstätten. Die Kamera ISOCAM hat über 23 000 Bilder der Region in zwei Wellenlängenbändern um 7 und 15 Mikron aufgenommen. Von mehreren hundert Objekten, die auf den Bildern zu erkennen sind, hat das Team 65 junge Sterne identifiziert, wovon mehr als 40 Prozent vorher nicht bekannt waren.

Ein anderer Autor aus Stockholm schildert, wie das Langwellen-Spektrometer von ISO zur Untersuchung eines merkwürdigen Leuchtflecks in den Chamäleon-Dunkelwolken eingesetzt wurde, der die Bezeichnung HH 54 trägt. Es handelt sich um ein Herbig-Haro-Objekt (benannt nach einem nordamerikanischen und einem mexikanischen Astronomen), bei dem ein von einem sehr jungen Stern ausgehender Gasstrahl durch Stoßwellen eine Leuchterscheinung in sehr großer Entfernung von dem Stern hervorruft. ISO hat zum ersten Mal Wasserdampfemissionen bei einem HH-Objekt beobachtet.

Dieses Ergebnis bestätigt nicht nur die Pionierrolle von ISO bei der Aufspürung von kosmischem Wasser, sondern vermittelt auch neue Erkenntnisse über die der Entstehung des HH-Objekts zugrunde liegenden Mechanismen. Praktisch die gesamte Energie einer 10 km/s schnellen Stoßfront wird in Infrarotemissionen von Wasserdampf-, Hydroxyl-, und Kohlenmonoxidmolekülen abgestrahlt. Ein verwandter Artikel, für den ein Verfasser aus Frascati in Italien verantwortlich zeichnet, vergleicht HH 54 mit den benachbarten Objekten HH 52 und HH 53, die ebenfalls mit dem Langwellen-Spektrometer beobachtet wurden. Der Artikel gelangt unter anderem zu der Schlußfolgerung, daß HH 54 seine Energie von einem anderen jungen Stern bezieht als dem, der möglicherweise für die übrigen zwei Objekte verantwortlich ist.

"Die diesen Monat veröffentlichten 91 Artikel, die einen breiten Bereich von Beobachtungen beginnend mit Planeten bis hin zu Galaxien umfassen, sind dennoch nur ein Vorgeschmack auf die Hunderte von weiteren Artikeln, die mit zunehmender Reife der Beobachtungsprogramme und Datenverarbeitungsverfahren noch zu erwarten sind", sagt Martin Kessler, der ISO-Projektwissenschaftler in Villafranca (Spanien). "So wird mit ISOCAM zum Beispiel eine systematische Durchmusterung eines Teils der Milchstraße vorgenommen. Der Bericht in "Astronomy and
Astrophysics" behandelt nur ein Prozent dieser Durchmusterung, dabei wurden bereits Tausende neuer Infrarotquellen entdeckt, die uns eine Menge Überraschungen bescherten. Obwohl ISO nur noch ein Jahr lang betrieben werden soll, werden seine Ergebnisse die Astronomie noch viele Jahre nachhaltig beeinflussen".

Weitere Auskünfte über ISO erteilen:

ESA Abteilung Öffentlichkeitsarbeit (Paris):
Simon Vermeer +33 1 5369 7106
ESA-Projektwissenschaftler:
Dr. Martin Kessler +34 1 813 1253
Hauptexperimentator/Kamera (ISOCAM):
Prof. Catherine Cesarsky +33 1 6908 7515
Hauptexperimentator/Photometer (ISOPHOT):
Prof. Dietrich Lemke +49 6221 528259
Hauptexperimentator/Kurzwellen-Spektrometer (SWS):
Dr. Thijs de Graauw +31 50 363 4074
Hauptexperimentator/Langwellen-Spektrometer (LWS):
Prof. Peter Clegg +44 171 975 5038


Weitere Auskünfte zu den in dieser Presseinformation behandelten wissenschaftlichen Fragen erteilen:

Artikel in Nature über die in Astronomy and Astrophysics vorgestellten Ergebnisse
Dr. Gerry Gilmore, +44 1 223 337 548
Woher beziehen ultraleuchtstarke Galaxien ihre Energie?
Prof. Reinhard Genzel +49 89 329 93280
Die sich durchdringenden Antennae-Galaxien
Dr. Laurent Vigroux +33 1 69 08 65 77
Wega-ähnliche Staubscheiben um Sterne
Prof. Harm Habing +31 71 527 5803
Staubhüllen alter Sterne
Dr. Rens Waters +31 20 525 7468
Kometenwolken um den Stern HD 100546
Prof. Christoffel Waelkens +32 16 200 656