ESA - Presseinformation
Nr. 14-96 - Paris, 12. Juni 1996  [ English Version | Version française ]

Europas Infrarot-Weltraumobservatorium spürt kosmisches Wasser auf

Das Wasser, das wir trinken und das die Weltmeere füllt, hat seinen Ursprung zwischen den Sternen. Die Astronomen sind von den Ergebnissen der mit dem Infrarot-Observatorium (ISO) der Europäischen Weltraumorganisation angestellten Beobachtungen fasziniert, die die Chemie unserer Milchstraße mit bisher unerreichter Deutlichkeit enthüllen. Besonders überraschend ist der in der Nähe von sterbenden Sternen entdeckte Wasserdampf, der aus der Verbindung von Urwasserstoff mit von den Sternen selbst erzeugten neuen Sauerstoffatomen entstanden sein muß. Wasser tritt auch bei der Bildung neuer Sterne und Planeten aus dem interstellaren Medium auf. Diese Prozesse liefen bei der Entstehung des Sonnensystems ab und lieferten unter anderem das Wasser, das mehr als die Hälfte des menschlichen Körpergewichts ausmacht.

Auf der Spur dieser historischen Entwicklung beobachtet ISO auch Wasser in Form von Eis in kühleren Regionen um die Sterne sowie in dem junge Sterne umgebenden Staub, der sich zu Planeten verdichten könnte. Kometen stellen ein Zwischenstadium der Planetenbildung dar und enthalten sehr viel Wassereis. Einer wissenschaftlichen Hypothese zufolge soll die junge Erde einen Teil ihres Wassers von aufschlagenden Kometen erhalten haben.Wegen des Wasserdampfgehalts der Erdatmosphäre können bodengestützte Teleskope den Wasserdampf zwischen den Sternen außer in sehr seltenen Fällen nicht aufspüren. Da ISO auf seiner

Umlaufbahn jenseits der Atmosphäre freien Blick auf das Universum hat, können seine ausgezeichneten Meßinstrumente die charakteristische Infrarot-Signatur von Wasserdampf, Wassereis und vielen anderen Stoffen ungehindert registrieren.

Bei der Beobachtung ausgewählter Objekte mißt ISO Emissionen oder Absorptionen von Infrarotstrahlen bei bestimmten Wellenlängen, d.h. "Linien" in einem Spektrum, anhand deren die vorkommenden Atome, Moleküle und Festkörper identifiziert werden können. Die beiden Spektrometer für den Kurzwellen- bzw. den Langwellenbereich liefern genaue chemische Diagnosen, und auch das Photometer ISOPHOT und die Kamera ISOCAM eignen sich gut für spektroskopische Untersuchungen.

Die aufgespürten Wasservorkommen gehörten zu den zahlreichen Themen der ersten ISO-Arbeitstagung in Noordwijk in den Niederlanden (29. bis 31. Mai), auf der rund 300 Astronomen aus Europa, den USA und Japan die mit ISO seit seinem Start am 17. November 1995 erzielten Ergebnisse erörterten. Das Langwellen-Spektrometer hat bemerkenswerte Beobachtungen von Wasserdampflinien in der Nähe sterbender Sterne und in Sternbildungsregionen gemacht. Ähnliche Beobachtungen wurden mit dem Kurzwellen-Spektrometer angestellt, das außerdem Wassereis aufspürte. Das Photometer ISOPHOT hat seinerseits Wassereis in einer Vielzahl von Objekten entdeckt.

Obwohl von der Geschichte des Wassers im Kosmos fasziniert, freuen sich die Astronomen auch aus eher technischen Gründen über die Beobachtungen mit ISO. Aus den Merkmalen eines Spektrums können sie die Häufigkeit von Wasser und seine physikalischen Eigenschaften ableiten. Im Falle des neu entstehenden Sterns GL 2591 beispielsweise ist Wasser infolge der Wärme des Sterns verdampft und hat eine Temperatur von etwa 30° C erreicht. Die Menge des Wasserdampfs - rund 10 Teilchen auf eine Million - ist nach kosmischen Maßstäben im Vergleich zum Wasserstoff sehr hoch.

"Seine bemerkenswerte Häufigkeit zeigt uns, daß Wasser bei der Geburt von Sternen eine wichtige Rolle spielt", sagt Ewine van Dishoeck vom Observatorium Leiden, dessen aus den Niederlanden und Schweden stammendes Astronomenteam bei dieser Untersuchung das ISO-Kurzwellen-Spektrometer benutzt hat. "Sterne entstehen durch den Kollaps einer Gas- und Staubwolke, aber die sich innerhalb der Wolke aufbauende Wärme wirkt dem verdichtenden
Einfluß der Gravitation entgegen. Dank der starken Infrarotstrahlung des Wassers wird die Wolke die sich aufbauende Wärme auf sehr wirksame Weise los. Diese Kühlfunktion von Wasser erleichtert die Sternbildung. ISO hat uns damit eine neue astrophysikalische Erkenntnis beschert."

Bestandsaufnahme des interstellaren Eises

Die Zwischenräume zwischen den Sternen sind sehr kalt, so daß Wasser- und andere Dämpfe wie beim Frost im Winter an der Oberfläche von Teilchen kondensieren und gefrieren. Sie sind Bestandteil des interstellaren Staubs, der den sichtbaren Himmel verdunkelt und den ISO zum ersten Mal eingehend unter die Lupe nimmt. Das Kurzwellen-Spektrometer sieht Wassereis in vielerlei Umgebungen, z.B. nahe dem Objekt NGC 7538, einer Wolke um einen entstehenden Stern. Vor ISO hatten bodengestützte Teleskope gefrorenes Kohlenmonoxid und Methanol (Methylalkohol) wie auch schon Wassereis im interstellaren Raum gefunden. ISO beobachtet diese Eisarten sehr viel schärfer. Es hat auch Kohlendioxideis und Methaneis nachgewiesen, die vom Boden aus nicht erkennbar sind. Französische Astronomen haben in den ISO-Daten sogar Eis ausfindig gemacht, das schweren Kohlenstoff-13 enthält.

Die von ISO registrierten Mengen von Kohlendioxid und Methan sind überraschend, und es ist nun klar, daß ein größerer Anteil der im Weltraum vorkommenden Kohlenstoffverbindungen eisförmig ist. Kohlendioxideis ist nach Wassereis die zweithäufigste Eisart in der Umgebung von NGC 7538. Die Astronomen können nun darangehen, eine komplette Bestandsaufnahme der gefrorenen flüchtigen Stoffe im interstellaren Raum zu machen und sie mit den im Sonnensystem vorkommenden Stoffen zu vergleichen.

"ISO liefert uns Spektren der Art, von denen wir Staubforscher bisher nur träumen konnten", sagt Doug Whittet vom Rensselaer Polytechnischen Institut in Troy (New York), der das amerikanisch-niederländische Team bei dieser Untersuchung mit dem Kurzwellen-Spektrometer leitet. "Unsere Entdeckung von interstellarem Kohlendioxid- und Methaneis ist für das Verständnis sowohl des Verhaltens von Kometen als auch des Ursprungs und der Entwicklung des Lebens auf der Erde von Bedeutung."


Sand und Ruß zwischen den Sternen

Andere Bestandteile des von ISO registrierten Staubs sind Mineralkörnchen und große Moleküle, die hauptsächlich aus Kohlenstoff und Wasserstoff aufgebaut sind und daher oft einfach Kohlenwasserstoffe genannt werden. Auch hier besteht ein unmittelbarer Bezug zur Geschichte des Sonnensystems und der Erde, weil ähnliche Minerale und Kohlenwasserstoffe in Meteoriten und in der Staubfracht von Kometen auftreten, wie sie z.B. die Giotto-Mission der ESA zum Halleyschen Kometen im Jahr 1986 analysiert hat.

Silikat-Minerale, die wir vom Sand am Meer her kennen, sind die wichtigsten Bestandteile des festen Erdkörpers. Die charakteristischen Signaturen von Silikatkörnchen im interstellaren Raum konnten mit Bodenteleskopen schemenhaft erfaßt werden, aber auch sie lassen sich mit ISO besser aufspüren. ISO hat Silikate und andere Minerale sowohl in der Nähe toter Sterne wie des Planetennebels NGC 6302 als auch in Staubscheiben um junge Sterne, in denen sich möglicherweise neue Planeten bilden, ausfindig gemacht.

In solchen protoplanetaren Scheiben haben Astronomen mit dem ISO-Kurzwellen-Spektrometer die Existenz einer Sonderform von Siliziumoxid nachgewiesen. Sie war vorher schon in Kometen gefunden und mit Bodenteleskopen im interstellaren Raum nur mit großen Schwierigkeiten und undeutlich beobachtet worden. Andere Siliziumoxide sind in der Milchstraße in nichtkristalliner (amorpher) Form weit verbreitet. Dieses besondere Siliziumoxid, das hier in Kristallform vorliegen mag, ist möglicherweise ein Indiz für eine gerade ablaufende Planetengeburt.

Vor allem den Kohlenwasserstoffen ist zu verdanken, daß Leben im Universum entstanden ist. Eine häufig vorkommende Infrarot-Emission bei etwa 12 Mikron Wellenlänge, die 1983 erstmals mit dem IRAS-Satelliten in der Milchstraße und anderen Galaxien beobachtet wurde, stammt, wie jetzt nachgewiesen werden konnte, von Kohlenwasserstoffansammlungen in schleierförmigen Wolken. Komplexe Kohlenwasserstoffe bilden im interstellaren Raum teerartige Körnchen ähnlich dem Ruß, den unsere Automotoren oder Kohlefeuer erzeugen. Die Instrumente von ISO, die diese Kohlenwasserstoffe an der charakteristischen Wellenlänge ihrer Infrarot-Emission erkennen, finden sie fast überall, wohin sie blicken, außer im Nahbereich von Sternen, wo die Kohlenwasserstoffe zu zerfallen neigen. Einige
Teams benutzten die Instrumente ISOPHOT und ISOCAM, um die Kohlenwasserstoffvorkommen an Dutzenden von Stellen in der Milchstraße zu registrieren. Die Kohlenwasserstoffe treten an den Oberflächen dichter Gas- und Staubwolken am auffälligsten in Erscheinung und dürften Aufschluß über die darin herrschenden physikalischen Bedingungen geben.

Kurz vor dem Start von ISO hatten Amateurastronomen gemeldet, daß der Stern mit der Bezeichnung R Coronae Borealis verblasse. Dieser verhältnismäßig alte Stern läßt sich normalerweise mit dem Fernglas ohne weiteres ausmachen, doch stößt er von Zeit zu Zeit Staubwolken aus, die ihn fast völlig verbergen. Berufsastronomen haben nicht die Zeit, unregelmäßig veränderliche Sterne ständig zu beobachten, und verlassen sich darauf, daß Amateure sie auf Ereignisse wie bei R Coronae Borealis aufmerksam machen. Als der Stern einige Monate später nur noch mit leistungsfähigen Teleskopen zu sehen war, konnte ISO dank der Hochgeschwindigkeits-Spektroskopieeinrichtung des Photometers ISOPHOT in nur einer Minute ein Infrarot-Spektrum dieses Sterns aufnehmen.

"Wir erwischten diesen Stern sozusagen beim Rauchen", sagt Helen Walker vom britischen Rutherford Appleton Laboratory, die bei dieser Beobachtung federführend war. "Die Astronomen sahen den Stern im Oktober im sichtbaren Licht verblassen, doch leuchtete er im Infrarot weiter. An den typischen Wellenlängen war erkennbar, daß sich in der Nähe des Sterns rußartige Kohlenstoffverbindungen gebildet hatten. Ohne ISO hätten wir keine Chance, ein solch außergewöhnliches Ereignis untersuchen zu können."

Komplexität und Inspiration
Mit der ISO-Kamera (ISOCAM) sind eindrucksvolle Bilder des interstellaren Staubs in vielen Teilen der Galaxie gelungen. Ihre spektroskopischen Möglichkeiten werden oft genutzt, um die Staubemissionen nach Wellenlängen zu zerlegen und damit ihren Ursprung zu bestimmen. Eine der Regionen, in denen ISOCAM ausgedehnte Kohlenwasserstoffvorkommen entdeckt hat, liegt am Rand der Dunkelwolke Rho Ophiuchi. Bei einer Entfernung von rd. 500 Lichtjahren ist dies die uns zunächst gelegene Sterngeburtsstätte. Die mit ISOCAM gemachten spektakulären Aufnahmen zeigen viele im sichtbaren Licht nicht erkennbare junge Sterne und auffallende filamentartige Strukturen in ihrer Staubhülle.
ISO liefert den Astronomen mehr Informationen über das interstellare Medium, als sie bisher voll verstehen können. Nicht nur bergen die Spektren, die zur Zeit analysiert werden, noch so manches chemisches Geheimnis, auch einige der von ISO aufgenommenen räumlichen Merkmale der Galaxie lassen die Astronomen perplex. Unmittelbar benachbarte kalte und heiße Regionen ergeben ein kompliziertes Muster, wo vorher nur ein lauwarmer Durchschnitt vermutet worden war.

"Das Universum ist ein recht komplexer Ort", warnt Martin Harwit, ein Pionier der Infrarot-Astronomie. "Aber ISO hilft uns, seinen Gesamtinhalt sowie die Energiebilanz unserer und anderer Galaxien abzuschätzen, und lehrt uns viel über die Demographie alter und junger Sterne. Ich finde die Ergebnisse von ISO bisher sehr inspirierend."


Nähere Auskunft über ISO erteilen:

ESA Abteilung Öffentlichkeitsarbeit (Paris)
Simon Vermeer +33 1 5369 7106

ESA-Projektwissenschaftler
Dr. Martin Kessler +34 1 813 1253

Hauptexperimentator für die Kamera (ISOCAM)
Prof. Catherine Cesarsky +33 1 6908 7515

Hauptexperimentator für das Photometer (ISOPHOT)
Prof. Dietrich Lemke +49 6221 528259

Hauptexperimentator für das Kurzwellen-Spektrometer (SWS)
Dr. Thijs de Graauw +31 50 363 4074

Hauptexperimentator für das Langwellen-Spektrometer (LWS)
Prof. Peter Clegg +44 171 975 5038


Abbildungen:


1. Langwellen-Spektrometer: Teil des Spektrums des sterbenden Sterns W Hydrae mit deutlich erkennbaren Wasserdampflinien. Die Bezeichnungen o-H2O und p-H2O beziehen sich auf alternative Ausrichtungen des Wasserstoffkerns.

2. Kurzwellen-Spektrometer: Teil des Spektrums eines entstehenden massereichen Sterns mit deutlich erkennbaren Wasserdampflinien. Der untere Teil des Diagramms zeigt die theoretischen Erwartungen für Wasserdampf bei 300 K (rund 30° C).

3. Photometer ISOPHOT-S: Kurzwelliges Spektrum der Sternbildungsregion Cepheus A mit Hinweisen auf die Präsenz verschiedener Stoffe ­ Wassereis, Silikate und einfache Kohlenstoffverbindungen.